Wahlen 2007 oder wie sich eine Gemeinde emanzipiert - Aviva - Berlin Online Magazin und Informationsportal für Frauen aviva-berlin.de Juedisches Leben



AVIVA-BERLIN.de 3/3/5785 - Beitrag vom 27.11.2007


Wahlen 2007 oder wie sich eine Gemeinde emanzipiert
Annegret Oehme

Am 25.11.2007 hat die Jüdische Gemeinde zu Berlin ihre 21 RepräsentantInnen gewählt und sich damit von einigen vertrauten Gesichtern, Heuchelei und Protektion verabschiedet.




Raus aus den Negativ-Schlagzeilen und endlich wieder eine demokratische Leitung die eint und nicht noch für zusätzliche Spaltung sorgt, so kann man den Appell der WählerInnen interpretieren, die am vergangenen Sonntag zur Gemeindewahl gegangen sind.

Dass es sich dabei gerade mal um ein Drittel aller Stimmberechtigten handelt, macht die allgemeine Politikverdrossenheit deutlich.
Dennoch kam ein überraschendes Ergebnis zustande, das zeigt, dass es noch einige gibt, denen das Wohl ihrer Gemeinde am Herzen liegt und die ihr Recht als WählerInnen nutzen.

Das von ihnen erwirkte Resultat ist als klare Absage an Arkadi Schneidermann und sein Bündnis Tachles zu deuten, von dem es niemand in die Repräsentantenkonferenz geschafft hat.
Ganz anders das Bild bei Atid: Bis auf eine Kandidatin gelang der Einzug in die RV komplett und so ein herausragender Sieg. In Erinnerung an ein ähnliches Ergebnis der damaligen Kadima-Liste, die sich dann hoffnungslos zerstritt und so zur gegenwärtigen desolaten Situation beitrug, ist dies hoffentlich kein schlechtes Zeichen.
Von der "Neue Namen"-Liste wurde nur Michail Kantor unter die ersten 21 gewählt und beim Wahlbündnis Hillel reichte es für fünf Kandidatinnen, darunter auch den gegenwärtigen Vorsitzenden der Jüdischen Gemeinde, Dr. Gideon Joffe.
Die meisten Stimmen gingen an Dr. Alexander Brenner, der der Gemeinde bereits von Mai 2001 bis Januar 2004 vorstand.

Im Januar 2008 wird die neu gewählte Repräsentantenkonferenz dann das erste Mal zusammentreten und ihren fünfköpfigen Vorstand wählen, der wiederum aus seinen Reihen den/die VorsitzendeN der Jüdischen Gemeinde zu Berlin wählt. Dabei dürfte es ein offenes Geheimnis sein, dass die Spitzenkandidatin von Atid, Frida (Lala) Süsskind, beste Chancen hat, als erste Frau den Stuhl im Büro der Gemeindeleitung zu besetzen.

Mit der Wahl am Sonntag ging ein Wahlkampf zu Ende, der länger nicht hätte sein dürfen. Ironische Artikel in den Medien, gefälschte Rundschreiben, haltlose Anklagen und kuriose Wahlveranstaltungen fanden ihren Abschluss.

In den vergangenen zwei Wochen wurden die KandidatInnen dem Publikum im Gemeindehaus vorgestellt und nach fünfminütiger Ansprache hatten die ZurhörerInnen die Möglichkeit, ihnen Fragen zu stellen.
In dem offensichtlich fehlenden Verständnis, was eine Frage kennzeichnet, lag hierbei das erste Problem. Weder ein Statement, noch ein gut gemeinter Buchtipp für die zukünftigen RepräsentantInnen ist eine Frage. Vielleicht resultierte diese Fehlinterpretation auch aus der Frustration, mit vielen unklaren oder gar fehlenden Antworten allein gelassen zu sein. Dabei zeichnete es sich vor allem bei KandidatInnen einer Liste ab, Antworten stets mit der Diskreditierung anderer zu beginnen. Was die WählerInnen davon halten, haben sie am Sonntag gezeigt.

Außer bei "Spitzenduellen" reichten die BesucherInnenzahlen dieser Veranstaltungen kaum über 75 Personen hinaus. Auf Grund dominierender Persönlichkeiten, an die alle Fragen gerichtet waren, bot sich weniger bekannten KandidatInnen leider selten eine Chance, sich vorzustellen und eigene Visionen für die Gemeinde anzusprechen.

So traurig auch hin und wieder der Umgang miteinander war, gab es doch auch immer wieder gewollt und ungewollt komische Momente.
Eine des Deutschen kaum mächtige Dame zum Beispiel sorgte mit ihrem einzigen Satz "Wählen Sie mich, alles wird gut!" für Erheiterung und bei einer glühenden Pro-Israel-Rede wunderten sich zwei ältere Gemeindeglieder in gut hörbarer Lautstärke, ob es dem Herrn am Mikro um einen Platz in der RV oder doch in der Knesset gehe.

Für den derzeitigen Amtierenden Dr. Gideon Joffe ging es um eine weitere Amtszeit. Ohne eine breitere Vertretung seines eigenen Wahlbündnisses in der RV dürfte es keine Aussicht darauf geben, dass er eine zweite Amtszeit als Vorsitzender erleben wird. Die zweite Chance bleibt ihm, dessen größter Fehler es vielleicht war, sein Vertrauen in den falschen Mentor gesetzt zu haben, nun wohl verwehrt. Der ihm ins Amt geholfen, hatte Joffe noch auf der letzten Repräsentantenkonferenz im November einen, schließlich gescheiterten, Misstrauensantrag zugedacht. Im Übrigen kann ein Misstrauensantrag – von entsprechender Seite gestellt – manchmal sogar ein Kompliment sein. Wer immer mit allem konform geht und jeden zufrieden stellt, leistet selten konstruktive Arbeit.
Es bleibt zu wünschen, dass einer der Fragesteller bei den Vorstellungsrunden mit seiner These Recht behält, Dr. Gideon Joffe werde sich sicher bald mit globaleren Themen als mit Kindertagesstätten und dergleichen beschäftigen.

Für die gewählten RepräsentantInnen und den zukünftigen Vorstand bleiben die Probleme des Haushaltes und der Zuwanderung die dringendsten. Es gilt, sich zusammenzuraufen, erfolgreiche Gemeindepolitik zu machen und so auch das in der Öffentlichkeit beschädigte Image wieder zu verbessern.
Mit ihrer Agenda haben die Atid-KandidatInnen allen einen klaren Bewertungsmaßstab in die Hand gegeben und sich in die Verantwortung begeben, diesen auch zu erfüllen. So wird das nächste Jahr zeigen, ob es mit Atid wirklich in die Zukunft geht. Der Jüdischen Gemeinde Berlin wären ruhigere und konstruktivere Jahre zu wünschen.

Die Jüdische Gemeinde zu Berlin im Netz: www.jg-berlin.org


Jüdisches Leben

Beitrag vom 27.11.2007

AVIVA-Redaktion